Befunderhebung nach Alter

Kinder im Alter unter 6 Jahren

Patientengerechte Kommunikation beachten

Bei der körperlichen Untersuchung ist es hilfreich eine medizinische Hilfsperson hinzuzuziehen, damit man sich selbst ganz auf das Kind konzentrieren kann. Die medizinische Hilfsperson kann in den Untersuchungsgang eingebunden werden und auch wichtige Sachverhalte dokumentieren. Ärztinnen und Ärzte sollten sich vorab bei der Bezugsperson informieren, mit welchen Namen das Genitale in der Familie benannt wird, damit sie mit dem Kind in eine eindeutige Kommunikation eintreten können.

Inspektion und Untersuchungsmethoden

In dem genannten Altersbereich wird primär eine Ganzkörperuntersuchung durchgeführt. Die Symptomsuche sollte in unauffälliger Form erfolgen. Das Positive an der Untersuchung sollte hervorgehoben werden. Dem Kind sollte vermittelt werden, dass es grundsätzlich gesund ist. Symptome, die auf sexuelle Gewalt hindeuten können, sind oftmals schwer zu bestimmen. In jedem Fall muss das untersuchte Kind unbekleidet sein. Dessen Kleidung sollte schrittweise ausgezogen werden, um nacheinander alle Körperstellen zu untersuchen. Das Kind soll aktiv an der Untersuchung beteiligt werden und – falls möglich – die Kleidungsstücke selbst ablegen. Die Untersuchenden müssen daran denken, dass die Begleitperson (i.d.R. Mutter oder Vater) Täter oder „ignorierender“ Mittäter sein kann. Verweigert ein Kind das Ausziehen oder die Inspektion, so sollte es ausreichend Zeit bekommen mit der Situation vertraut zu werden. Wenn gewichtige Anhaltspunkte für sexuelle Gewalt vorliegen, das Kind aber eine Inspektion bzw. Untersuchung verweigert, sollte mit den Personensorgeberechtigten unter Abwägung der Risiken diskutiert werden, ob eine Untersuchung in Kurznarkose durchgeführt werden soll.

Die Untersuchung erfolgt auf der Untersuchungsliege. Jeder Untersuchungsgang wird dem Kind im Voraus erläutert (z. B. „Ich schaue mir jetzt dein Biesi an“ oder „Ich berühre jetzt deinen Pimmel“). Die Anwendung einer gebündelten Lichtquelle in Kombination mit einer Vergrößerungsoptik wie z. B. einem Kolposkop ermöglicht eine verbesserte Visualisierung und Beurteilung des Lokalbefundes. In Einzelfällen - bei sehr ängstlichen Kindern - kann die Inspektion des Kindes auf dem Schoss der Begleitperson von Vorteil sein. Bei der Untersuchung des weiblichen Genitales wird die Traktionsmethode (die Labia majora werden beidseits mit den Händen des Untersuchers nach lateral und zugleich kaudal gezogen) oder die Separationsmethode (die Labia majora werden beidseits mit den Händen des Untersuchers nach lateral gespreizt) angewendet. Mit Hilfe der Separations- oder Traktionsmethode kann die Weite und Konfiguration des Introitus vaginae, die distale Vagina, die Fossa navicularis und die hintere Kommissur untersucht werden. Bei Mädchen, die sich in der hormonellen Ruheperiode befinden, sollte grundsätzlich ein weiterer Untersuchungsgang in der sogenannten Knie-Ellenbogen-Position durchgeführt werden, wobei auch zeitgleich der Hymen und der After beurteilt werden können. Hierbei muss man äußerst vorsichtig vorgehen, da durch diese Untersuchungsposition (häufige Position bei sexueller Gewaltanwendung) eine Retraumatisierung ausgelöst werden kann.

Die Untersuchung des Afters erfolgt bei Jungen im Liegen in Seitenlage mit gebeugten Hüft- und Kniegelenken. Die Gesäßbacken werden möglichst lange gespreizt, um eine gewisse reflektorische Dilatation des Afters zu erreichen. Wenn notwendig – bei Blutungen oder Verletzungen des Penis - erfolgt die Reponierung des Präputiums durch den Jungen. Hilfreich sind kindgerechte Verbalisierungen wie „Alle Männer müssen sich regelmäßig den Penis waschen, machst du das auch? Dazu musst du aber die Haut vor deinem Pimmel zurückziehen. Geht das bei dir?“ Im Bereich des Skrotums ist auf Hautverletzungen wie z. B. Abschürfungen oder Quetschungen sowie auf Hämatome zu achten.

Kinder im Alter von 6 - 13 Jahren

Aktive Einbindung des Kindes in die Untersuchung

In diesem Altersbereich tritt bei vielen Mädchen bereits die Reifungsperiode ein. Der Hymen wird fleischig, dehnungsfähig, und ist damit nicht mehr „verletzungsanfällig“. Der Hymen beginnt sich zu fälteln und ist manchmal schwer beurteilbar. Ein „Ausstreifen“ des Hymens mit einem befeuchteten Wattetupfer kann Fehlinterpretationen von Deflorationsverletzungen verhindern. Für die zu erhebenden Befunde gilt das für Kinder unter 6 Jahren beschriebene Vorgehen. Es ist aber von besonderer Bedeutung, das ältere Kind aktiv als „Assistent“ an der Untersuchung zu beteiligen. Es muss darauf geachtet werden, die Schamgrenzen des Kindes zu respektieren. Alle Körperregionen werden nacheinander untersucht. Spuren durch Bisse, Lecken oder Küsse finden sich häufig in Brustnähe oder im Bereich der Schamlippen. Grundsätzlich sollte eine Ganzkörperuntersuchung erfolgen, da etwa Bissspuren nicht selten auch außerhalb des Genitalbereichs, insbesondere an den Oberarmen, lokalisiert sind. Spontane Äußerungen des Kindes, die auf eine sexuelle Gewaltanwendung hinweisen, sind sehr ernst zu nehmen, insbesondere wenn sie ohne investigative Nachfragen erfolgen.

Dem Kind kann angeboten werden, die Inspektion bzw. die Untersuchung visuell, z. B. mit einem Handspiegel zu begleiten. Die Untersuchung erfolgt auf einer Untersuchungsliege bzw. mit einer gynäkologischen Untersuchungseinheit. Bei der Notwendigkeit einer gynäkologischen Untersuchung sollten in der Kinder- und Jugendgynäkologie erfahrene Fachärztinnen oder Fachärzte hinzugezogen werden.

Jugendliche im Alter von 14 - 18 Jahren

Wunsch nach gleichgeschlechtlichen Untersuchern berücksichtigen

In diesem Altersbereich sollte die Inspektion – und wenn erforderlich die Untersuchung - nur von Ärztinnen und Ärzten mit besonderer Erfahrung in der jugendgynäkologischen Untersuchung durchgeführt werden. Bei der Inspektion muss jeder Schritt erklärt und mit den Jugendlichen abgesprochen werden. Die medizinische Notwendigkeit der Inspektion und Untersuchung muss entsprechend dem geistigen, psychischen und emotionalen Entwicklungsstand der Jugendlichen erläutert werden. Dem Wunsch von Mädchen und Jungen nach gleichgeschlechtlichen Untersuchern sollte nach Möglichkeit entsprochen werden. Von besonderer Bedeutung ist der Aufbau einer Beziehungsebene mit den Jugendlichen sowie die unbedingt zu verbalisierende Zusicherung der ärztlichen Verschwiegenheit im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben.

Jungen als Opfer

Jungen die sexuelle Gewaltanwendung erlebt haben, haben besondere Schwierigkeiten, sich einem Helfersystem anzuvertrauen. Die traditionelle männliche Geschlechtsrolle schreibt Jungen vor, mit ihren Problemen alleine fertig zu werden, sich auf keinen Fall überwältigen und missbrauchen zu lassen. Die Tatsache, dass sexuelle Gewalt, wenn sie von Frauen ausgeübt wird, bei Jungen positive Gefühle wie auch eine nachweisbare körperliche Erregung auslöst, führt zu einer weiteren Hemmung, über das Erlebte zu sprechen und sich anderen Personen anzuvertrauen. Geht die sexuelle Gewalt von Männern aus, so kann bei Jungen die Angst ausgelöst werden, durch den Missbrauch homosexuell zu werden oder es bereits zu sein. Dies löst zur erfahrenen Traumatisierung hinzukommend, eine weitere Angst vor Stigmatisierung aus.

Mädchen als Opfer

Für viele Mädchen ist es besonders verwirrend, wahrzunehmen, dass ihr Körper während eines sexuellen Übergriffs sexuelle Erregung verspürt und sie möglicherweise einen Höhepunkt haben. Dabei wollten sie den sexuellen Kontakt gar nicht, fühlen sich schlecht dabei und empfinden vielleicht auch Schmerzen. Daraus resultiert das Gefühl, machtlos und hilflos zu sein und die Kontrolle nicht mehr zu haben. Dies führt oftmals dazu, dass sie den Übergriff verheimlichen und sich keinem Helfersystem anvertrauen.

Weitere Untersuchungen und Spurensicherung

Abhängig von Befund und Anamnese sind ggf. zusätzliche Untersuchungen erforderlich, z. B. mikrobiologische (Gonokokken, Chlamydien, Trichomonaden) oder virologische Untersuchungen (HPV) aus der Vagina, Anus, Mund oder Urethra, serologische Untersuchungen (Beta HCG nach der Menarche, HIV, Syphilis, Hepatitis B). Bei dringendem Verdacht auf sexuelle Gewalt müssen die Untersuchungen nach 3 - 4 Wochen (HIV 6 Monate) wiederholt werden. Falls möglich, sollte eine Spurensicherung erfolgen. Liegt das Delikt bereits längere Zeit zurück, ist in der Regel eine Spurensicherung nicht mehr durchführbar.

Das Vorliegen von Sperma in der Vulva, Vagina, Mundhöhle oder Anus ist bei Kindern und Jugendlichen nur bis maximal 24 Stunden nach dem Übergriff zu erwarten. Allerdings ist eine Penetration in die Vagina von Kindern in der hormonellen Ruheperiode selten. Vielmehr sollte daran gedacht werden, dass häufiger „Reiben“ des Penis an der Scheide („Vulvapenetration") vorkommt. Unterlagen, auf denen das Kinder bzw. Jugendliche gelegen haben oder eventuell kontaminierte Kleidung sollten bei dringenden Verdachtsfällen in die Spermauntersuchung einbezogen werden.

Die Sicherung von Spermaspuren erfolgt mit speziellen Ethylenoxid (EtO) bedampften Forensic-Watteträgern im Scheidengewölbe, die vor Gebrauch mit Aqua bidest befeuchtet werden können. Nach dem Abstrich müssen die Tupfer beschriftet werden (Name, Geburtsdatum, Datum und Lokalisation der Abstrichentnahme), können dann asserviert oder verschickt werden. Watteträger, die ein Trocknungsmittel oder eine luftdurchlässige Membran enthalten, brauchen nicht luftgetrocknet werden, sondern können sofort in die Transporthülse überführt werden. Wattetupfer sollten nach Abstrichentnahme nicht vernichtet werden, sie sollten weder feucht, noch in einem Nährmedium oder in einer NaCl-Lösung asserviert werden, um eventuell eine DNA-Analyse zu ermöglichen. Abriebe aus Mundhöhle und After erfolgen in gleicher Weise.

Bei der Sicherung von Speichelproben wird einer der oben beschriebenen Wattetupfer, die mit Aqua bidest befeuchtet sind, großflächig mit leichtem Druck über die angegebenen Stellen gerieben. In konkreten Verdachtsituationen müssen spurenverdächtige Kleidungsstücke nach Trocknung getrennt in Papiertüten asserviert werden.

Bei Jugendlichen ist bei Verdacht auf Anwendung von Drogen (Partydrogen, K.O.-Mittel) eine Urin- oder Serumsicherung für ein Drogen- und Medikamentenscreening durchzuführen. In Ergänzung kann eine Haarprobe nach 4 - 8 Wochen durchgeführt werden.